GM. Eine alternative Sicht darauf wäre, dass dies schon an sich ein Widerspruch ist. Als freier und selbstbestimmter Bürger stehst du für dich und deine Taten, es gibt keine Notwendigkeit Verantwortung und Befugnisse zu in die politische Ebene zu delegieren – erst daraus erwächst genau das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung.
Das Recht auf Partizipation am politischen Willensbildungsprozess ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Ich möchte das nicht aufgeben. Gerade in Zeiten, in denen sich der Staat anmaßt, die Grenzen seiner Verantwortung und Befugnisse zu überschreiten. Ich wähle keine Partei aus Überzeugung, sondern nach dem Prinzip des geringsten Übels. Ich nehme an der EU-Wahl teil trotz großer Skepsis gegenüber dieser EU. Ich bin deutscher Bürger, auch wenn ich mich selbst als Weltbürger verstehe. Trotzdem und auch deshalb gehe ich wählen.
Das möchte ich dir auch nicht streitig machen. Dennoch scheint mir der Hinweis darauf angebracht, dass insbesondere Wahlen das Instrument sind, mit denen sich auch solch ausufernde Systeme legitimieren und damit die Basis für das politische Handeln ziehen, welches zwangsläufig zu weniger Souveränität des Bürgers führt. Der ganze Prozess ist die einfachste Form von Verantwortungsabgabe und auch das Einwilligen zu solcher.
Ich teile deine Einschätzung, dass sich die Politik durch Wahlen legitimiert sieht, alles und jedes tun zu dürfen (und dabei massiv in die Rechte seiner Bürger eingreift oder sogar seine Rechte negiert). Es ist ein Übel unserer Zeit, dass der Staat sich immer weiter ausgebreitet hat und vermeint, uns beglücken zu müssen. Mal andersrum gefragt: wie können wir denn sonst unseren Unmut oder Unwillen ausdrücken? Wie willst du den übergriffigen Staat zurückdrängen?
Indem Leute genau das Gegenteil tun: Selbst ehrlich Verantwort übernehmen, anstatt sie zu deligieren. Sich um die eigenen Probleme und das eigene Umfeld kümmern, anstatt implizit eine Autorität damit zu beauftragen. Ja, das ist Arbeit und ein langer Weg bis dahin, im bestehenden System gibt es aber keine Lösung dafür, denn ultimativ lebt man selbst sein Leben oder muss sich dem Fakt stellen, dass man eine übergeordnete Instanz (meinetwegen auch unbewusst) damit beauftragt hat, Einfluß auf das eigene und gesellschaftliche Leben zu nehmen.
Ich bin zu 99% bei dir. Wir brauchen eigenverantwortliche, freie Bürger. Aber dafür benötigen wir auch ein Umfeld oder System, das genau das ermöglicht.
Das ist aber nicht das bestehende System, denn die Einstimmung zur Unmündigkeit ist durch die Abgabe der Stimme und damit die Anerkennung einer höheren Instanz zur Entscheidungsfindung ja schon eingebacken. Das ist das Gegenteil von Selbstsouveränität (und meinetwegen auch der perfide Teil der Vortäuschung von Partizipationsmöglichkeit) – da fing unser Gespräch dazu ja an.