Oddbean new post about | logout
 @66f40503 Was mit der Kultur passiert, ist noch überhaupt gar nicht absehbar. Ich würde mir wünschen, daß das Patriarchat untergeht, aber in Zeiten des Kollaps ist auch damit zu rechnen, daß immer wieder irgendwelche ultrabrutalen Söldnerheere das Land heimsuchen, und auch eine Rückkehr der Sklaverei ist nicht unwahrscheinlich, letztlich wurde die Sklaverei auch nur abgeschafft durch die Industrialisierung. 

Solarzellen werden in einer solchen Welt keine Rolle mehr spielen, weil man die dafür nötigen Halbleiter nicht in den erforderlichen Mengen und der erforderlichen Qualität herstellen können wird, und weil die Dinger so kostbar werden, könnten sich durchaus eine beliebte Kriegsbeute werden, die der neue Kriegeradel sich dann aufs Dach seiner Burgen und Paläste montiert. Eher wird man solarthermisch Energie gewinnen, etwa in Form eines Stirlingmotors, der mit einem Solarspiegel kombiniert wird. Da kann man dann entweder direkt irgendwas antreiben oder mit einem Generator Strom machen, falls man Strom braucht. Bei der Beleuchtung wird man wohl zu Glühbirnen zurückfallen, oft ganz altmodisch mit Kohlefaden, einfach weil man sowas noch in einer relativ simplen Werkstatt mit leicht verfügbaren Materialien herstellen kann. Elektronik wird es wohl nur sehr wenig geben, die dann sehr simpel und wenig leistungsfähig ist, vielleicht mit kohlenstoffbasierten Transistoren, wahrscheinlicher aber mit gläsernen Elektronenröhren. 

Wir haben hier 250 Jahre lang eine Fossiler-Kohlenstoff-Party gefeiert, bald ist die vorbei. Wir sollten nicht annehmen, daß unser technologisches Niveau und unser Wohlstand in irgendeiner Weise das Ende dieser Kohlenstoffparty überleben werden. Vielleicht können wir noch bis 2070 oder so das High-Tech-Zeitalter irgendwie weiter vorantreiben, wenn es den herrschenden Eliten und deren Speichelleckern scheißegal ist, daß dafür 70-80% der Menschheit verrecken, aber das wird dann auch nur dann funktionieren, wenn die noch funktionierenden Teile der Welt sich hinter unüberwindbaren Mauern verschanzen. Vermutlich wird der erste Absturz auf ein simpleres Technologieniveau aber schon wesentlich früher passieren, möglicherweise schon vor 2050. Die Industriezivilisation wird sich danach erst einmal wieder fangen und auf einem primitiveren und weniger stabilen Niveau konsolidieren, bis ein oder zwei Jahrzehnte später die nächste große globale Katastrophe oder Katastrophenserie das ganze System ein Stück weiter abrutschen läßt, und so geht es dann als gezackte Sägezahnkurve bergab für die nächsten paar Jahrhunderte -- sofern es keinen großen Atomkrieg gibt, der die Zivilisation schlagartig beendet.

Fest steht, wir haben jetzt 8 Milliarden Menschen, und in wenigen Jahrzehnten werden unsere Böden nicht mehr in der Lage sein, genug Nährstoffe in Form von Feldfrüchten für all diese Leute zu produzieren, bestenfalls bekommen wir vielleicht noch 5 hin, weil die industrialisierte Landwirtschaft seit der "Grünen Revolution" absolut unnachhaltig ist und die Ökosysteme zerstört, auf denen alles Leben in, auf und mit den Böden basiert. Die Mengen an Phosphor- und Stickstoffdünger, welche in den letzten paar Jahrzehnten ausgebracht worden sind, haben die Phosphor- und Stickstoffkreisläufe in der Natur praktisch komplett zerstört, selbst Hunderte von Kilometern vom Ackerland entfernt. Die maschinelle Bodenberarbeitung hat die Struktur der Böden zerstört, der massive Einsatz von synthetischen Toxinen -- Pestizide, Insektizide, Fungizide, Herbizide -- hat ganze Regionen massiv ökologisch verarmen lassen, ganze trophische Netzwerke sind kollabiert. So ein Boden ist kein neutrales Substrat wie Steinwolle oder Blähton in der Hydrokultur, sondern es ist ein verdammtes Ökosystem, und wenn der Boden zu einem toten Substrat gemacht wird, dann verliert er sehr schnell seine Fruchtbarkeit, hält nicht mehr zusammen und wird beim nächsten Starkregen weggespült. Wenn die Auswirkungen unseres industriellen Wütens auf diesem Planeten in ein paar zigtausend Jahren komplett durch sind, können wir froh sein, wenn er noch ein Dutzend Millionen Menschen tragen kann. 
 @66f40503 Überhaupt, Kultur... im Verlaufe dieses Jahrhunderts werden wohl 1-2 Milliarden Menschen auf der Flucht sein und eine neue Heimat suchen, weil ihre alte Heimat unbewohnbar wird durch das Klimachaos. Das wird kein heute existierender Staat, keine Nation, kein Volk, keine Kultur in einer wiedererkennbaren Form überstehen, da kann echt _alles_ passieren. Da entstehen neue Sprachen, neue Kulturen, neue Religionen, und jahrtausendealte Völker und Weltreligionen verschwinden mal so eben oder verwandeln sich auf bizarre Art und Weise. 
 @706554ec Das wird auf jeden Fall passieren, da gehe ich konform. Und es wird Folgen haben, die wir uns heute nicht vorstellen können. Was deine Technik-Prognosen betrifft - das kann alles so kommen, muss aber nicht genau so. Das ist mir etwas zu exakt in der Vorhersage. Mit so was bin ich generell vorsichtig.